Interview "Zwischen den Zeilen" vom 22.1.2013

 

Frage:

Herr Müller, in ihren Kriminalromanen gehen sie nicht gerade zart besaitet mit den Gesetzesvertretern, Politikern und unserer Gesellschaft im Allgemeinen um. Weiterhin scheint es so, dass sie eine ausgeprägte Vorliebe für privat vollzogene Vergeltung haben. Zweifeln sie an den gültigen Gesetzen und dem Strafvollzug unserer Demokratie?

 

H. Müller:

Seitdem es den modernen Menschen gibt, existiert auch der Geist der Rache. Sie wird jedoch zur heutigen Zeit, meistens aus Furcht vor der Vergeltung durch die Staatsorgane nicht ausgeübt. Zum zweiten Teil ihrer Frage: Solange es opportunistische Staatsanwälte, korrupte Kriminalbeamte sowie Richter die sich in der Urteilsfindung von ihrem persönlichen Befinden beeinflussen lassen gibt, solange zweifel ich an unserem Rechtssystem an sich. Darüber hinaus tragen allgemeine Gesetze immer ein ungerechtes Moment in sich, weil sie nie dem Einzelfall gerecht werden.                

 

Frage:

Könnten sie sich vorstellen, selbst Vergeltung auszuüben?

 

H. Müller:

Ich kann es nicht ausschließen, es kommt auf die Umständen an - vielleicht. Nichts anderes vollzieht unser Staat. Er startet ohne Einverständnis seiner Bürger militärische Aktionen in anderen Ländern, mischt sich ein, liefert hochwertiges Kriegsmaterial an fragwürdige Abnehmer, macht sich dadurch mitschuldig am gewaltsamen Tod vieler Menschen. Dieses töten im industriellen Maßstab kann der Einzelne interpretieren wie er will. Ob Vergeltung? Notwehr? Humanitäre und logistische Hilfe? Die Fantasie der Erklärungen und Rechtfertigungen seitens der Verantwortlichen ist grenzenlos, wobei wirtschaftliche Interessen strikt ausgeklammert werden. Die Einführung des Plebiszit ist längst überfällig.

 

Frage:

Wo und wie entsteht ihrer Meinung nach das Verbrechen? 

 

H. Müller:

In Hinterhöfen, vor dem Fernseher, Chefsesseln der Manager wie auch in den sündenverschwitzten Beichtkabinen der Kirchen. Aber das wollten sie doch gar nicht wissen. So bringe ich es auf einen Nenner: Überall im Niemandsland zwischen Moralisten und dem Individuum. 

 

Frage:

Haben sie ein Idol, gib es Menschen denen, sie nacheifern, deren Fan sie sind und deren Autorität sie akzeptieren?

 

H. Müller:

Um Himmels willen, nein. Idole sind etwas für Menschen die nicht eigenständig sind. Ich denke dabei an die vielen Ameisen, die sich von den zahllosen, Schwachsinn vermittelnde TV-Sendungen über z.B. Model-Superstar-Shoppingstar-Gesuche determinieren lassen.

Das Wort Fan ist abgeleitet worden von fanatic! Wie kann man eines oder mehrerer Menschen Fan sein? Aufgehen und handeln im Kollektiv?

Zweifellos gibt es außergewöhnliche Menschen, denen ich rationale Autorität zuschreibe. Allerdings würden sie, bescheiden wie sie sind, nicht wollen, dass ich ihren Namen nenne.

 

Frage:

Wie beschreiben sie für sich den Sinn des Lebens?

 

H. Müller:

Als Pantheist bin ich mir darüber im Klaren, dass mein Leben endlich und einmalig ist. Das bedeutet für mich, dass der Sinn des Lebens einzig und allein in der Fortpflanzung liegt, und dem Sinn habe ich bereits entsprochen.

 

Frage:

Wie beurteilen sie die heutige Gesellschaft?

 

H. Müller:

Sie leidet an einem kollektiven Identitätsverlust, gesteuert vom Geist des hemmungslosen Materialismus nach amerikanischem Muster.

Wie bezeichnete Michael Moore das amerikanische System-Model Kapitalismus: Die amerikanischen Verhältnisse sind ein Menetekel für den Rest der Welt. Darüber hinaus, so meine Meinung, besteht die heutige Gesellschaft aus Lobbyisten, die sich in verschiedene Gruppierungen, Fan-Gemeinden unterteilen. Dabei entgeht ihnen, dass sie von Politdemagogen, Abzockern, Marktanalytikern, Managern usw. geschickt manipuliert werden.

Die Massenmedien schließen den Kreis der Volksverdummung.

 

Frage:

Sie mögen ihre Mitmenschen nicht besonders, oder? Halten sie viele für ungebildet oder gar dumm?

 

H. Müller:

Schopenhauer sagte einmal: < Wissen ist begrenzt, nur die Dummheit ist scheinbar grenzenlos. >Gehen sie mal in eine Shoppingmeile, lauschen sie den platten Dialogen und schauen dabei in oberflächliche, resonanzlose Gesichter. Ich denke dabei an geklonte Ameisen. Dabei waren sie doch alle einmal mit allen Eigenschaften ausgestattete Kinder.

 

Frage: 

Sind sie ein politischer interessierter Mensch?

 

H. Müller:

Seit Helmut Schmidt Kanzler war nicht mehr. Er war der letzte Staatsmann. Alles was nach ihm kam stufe ich als Politiker und einige von denen zudem als Schwätzer ein, die ihre Wahlversprechen nicht halten. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie wirken so als ob sie den gleichen Kurs besucht haben < Wie lache oder lächele ich richtig um das Vertrauen der Wähler zu erschleichen und nicht als Lügner enttarnt zu werden.>

 

Frage:

Sie scheinen ein Problem mit Politikern, Manager und Anzugträgern zu haben?

 

H. Müller:

Ich habe kein Problem mit dieser Sorte Mensch, aber als militanter Anti - Intellektueller bin ich generell skeptisch gegenüber Leuten, die nicht mit ihrer Hände Arbeit Ihren Lebensunterhalt verdienen. Häufig erweisen diese sich als Schmarotzer und werden dafür auch noch belohnt.

 

Frage: Glauben sie an einen Gott und was halten sie von Religionen und deren Vertretern?

 

H. Müller:

Sie haben die Frage, ob ich auch an die unbefleckte Empfängnis glaube, unterschlagen. Nein, ich glaube an keinen Gott, außer an den Gott in mir, als Gesellschafter des Teufels, der mir außerdem innewohnt. Ich erwähnte bereits, dass ich es mehr mit der Naturreligion halte, dem Pantheismus. Wie der Kommunismus die bequeme Religion für Intellektuelle bedeutet, ist die organisierte Religion das Opium des simplen Volkes.

Ich kann nicht nachvollziehen, dass der denkende Mensch, spätestens nach dem Bekanntwerden von Darwin`s Evolutionslehre, noch den selbsternannten Gottesvertretern, die für mich den Eindruck gut betuchter Karnevalisten erwecken, zuhört. Deshalb halte ich jede Form einer organisierten Religion für ein Gefängnis.

Vielen ist der Spruch bekannt: Im Schatten der Kirche hat der Teufel sein sicherstes Nest.

Nietsche bringt es auf den Punkt mit: < Hüte dich vor der heiligen Einfalt, sie spielt gern mit dem Feuer. Alles was nicht einfältig ist, ist ihr unheilig.>

 

Frage:

Was bedeutet für sie Hoffnung und wie denken sie über das Schicksal?

 

H. Müller:

Hoffnung hilft vielen Menschen die Gegenwart zu ertragen, daher kommt auch der Spruch : <Die Hoffnung stirbt zuletzt.> Ich aber meine, dass die Hoffnung der Irrglaube an den Eintritt des Unmöglichen ist.

Was das Schicksal anbelangt, so glaube ich, dass es grundlos ist. Jedem scheinbar übernatürlichen Ereignis liegt eine natürliche Ursache zu Grunde. Ich bin kein Fatalist.

 

Frage:

Wie denken sie über die Lüge und die Wahrheit?

 

H. Müller:

Die Lüge hält unsere Zivilisation zusammen. Ohne die Lüge würden wir zugrunde gehen, uns zerfleischen. Und die Wahrheit ist eine Behauptung, die glaubhaft vorgetragen wurde. Jedes Individuum hat seine eigene Wahrheit.

 

Frage:

Wie stehen sie zu den Erungenschaften unserer Zivilisation?

 

H. Müller:

Die Zivilisation ist der armselige, unvollkommene Sieg über das Primitive. Primaten sind und bleiben wir. Mit anderen Worten arrivierte Affen! Wir maskieren uns lediglich in der Hoffnung, dass es nicht auffällt.

 

Frage:

Welche Personen hätten sie gerne kennen gelernt?

 

H. Müller: 

In dieser Reihenfolge: Dschingis Khan, Friedrich Nietzsche, Tor Heyerdahl, Peter Ustinov, Romy Schneider.

 

Frage:

Welche Autoren schätzen sie besonders?

 

Autor:

Ihre Frage müsste lauten: Welche Bücher? Ich kenne oder kannte die Autoren nicht persönlich. Bücher des schwedischen Krimi-Autoren Hakan Nesser und von Erich Fromm. Sie sind in ihrem jeweiligen Genre die Besten.

 

Frage:

Würden sie einen Ausflug in die Zukunft machen wollen, oder lieber in die Vergangenheit? Und wenn, in welches Zeitalter?

 

H. Müller:

Keine Frage, ich würde die Vergangenheit wählen: Bronzezeitalter und die Wikingerzeit.

 

Frage:

Was empfehlen sie ihren Nachkommen?

 

H. Müller:

Desiderata zu lesen und danach zu leben. Hier ein Auszug davon: Meidet laute & aggressive Menschen, sie sind eine Qual für den Geist.

 

Frage:

Haben sie Angst vor dem Tod?

 

H. Müller:

Angst ist oftmals eine Folge unserer geistigen Schwäche, sie höhlt uns aus, sie lähmt uns. Nein, ich habe keine Angst vor dem Tod. Mit ihm gehen wir zurück zu unserem Urzustand und tragen möglicherweise mit unserem Mikrokosmos, den Spurenelementen dazu bei, ein anderes Objekt zu beleben. Vielleicht als Schuppenteil des Panzers eines nachsintflutlichen Nashorns. Diese Vorstellung gefällt mir.

 

Frage:

Warum nachsintflutlich?

 

H. Müller:

Weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir uns eines Tages selbst vernichten werden. Und das ist gut so. Ich sehe uns nicht als die Krone der Schöpfung.

 

Letzte Frage:

Würden sie gerne einen Bestseller schreiben?

 

Autor:

Daran zu glauben wäre illusorisch. Bestseller werden von den Medien gemacht und ohne entsprechende mediale Kontakte gibt es auch keine Bestseller.